English version of my blog entry can be found below.

Als Charles Rennie Mackintosh um 1900 in Kontakt mit der Wiener Secession trat, begann eine der fruchtbarsten und folgenreichsten kulturellen Verbindungen innerhalb der europäischen Jugendstilbewegung.
Die Begegnung mit Persönlichkeiten wie Josef Hoffmann, Koloman Moser und dem Mäzen Fritz Waerndorfer führte zu einem intensiven Austausch, der Mackintoshs Werk ebenso prägte wie das der Wiener Designer und ihrer Studenten. Die von Mackintosh und Margaret MacDonald entworfenen breiten Gesso-Paneele, die auf der achten Secessionsausstellung präsentiert wurden, beeinflussten auch Gustav Klimts Werk und fanden ihren Widerhall im Beethovenfries der vierzehnten Secessionsausstellung.

Im Sommer 1900 sandte Mackintosh u.a. Fotografien seiner eigenen Wohnung an den Maler Carl Moll, den Präsidenten der Wiener Secession. Diese wurden 1901, zusammen mit Ansichten von Mackintoshs Secessionszimmer, in der Secessionszeitschrift Ver Sacrum veröffentlicht und hinterliessen einen nachhaltigen Eindruck. Die präzise Beherrschung der Raumgestaltung, die Reduktion der Möbel und die konsequente Durchgestaltung von Architektur, Ausstattung und Ornamente waren für viele Wiener Gestalter neu. Mackintoshs Arbeiten galten als ausserordentlich modern und wirkten wie ein Katalysator: Zahlreiche Wiener Designer und Studierende sollten seine Entwürfe in den folgenden Jahren aufgreifen, variieren und weiterentwickeln.

In genau diesem Umfeld erfuhr Mackintosh während seines Wien-Besuchs (Oktober bis Dezember 1900) auch von einem Wettbewerb, der im Dezember 1900 in der deutschen Zeitschrift Innendekoration angekündigt wurde. Herausgegeben von Alexander Koch in Darmstadt, suchte der Wettbewerb Entwürfe für ein „Haus eines Kunstfreundes“. Einsendeschluss war der 25. März 1901.

House for an art lover, C.R. Mackintosh
Das Speisezimmer im 'Haus eines Kunstfreunds'

Mackintosh reichte seinen Entwurf für das „Haus eines Kunstfreundes“ ein, wurde jedoch zunächst disqualifiziert, da er nicht die geforderte Anzahl an Innenperspektiven abgegeben hatte.

Die Qualität seiner Zeichnungen in Verbindung mit der Modernität seiner Ansichten brachte Mackintosh jedoch einen Sonderpreis von 600 Mark ein – eine bemerkenswerte Würdigung, zumal kein erster Preis vergeben wurde.

Alexander Koch gab ausgewählte Wettbewerbsbeiträge als eigenständige Portfolios heraus. 1902 veröffentlichte er auch die Entwürfe Mackintoshs – inklusive der fertiggestellten Innenperspektiven –, die unter dem Titel Meister der Innenkunst erschienen und über seine Zeitschriften ein Publikum in ganz Europa sowie in den Vereinigten Staaten fanden.
Auf diese Weise wurde Mackintoshs visionäres Raum- und Möbelkonzept einem internationalen Publikum bekannt, obwohl das Haus selbst nie realisiert wurde.

Die Originalzeichnungen sollen 1944 verloren gegangen sein, als Alexander Kochs Verlag bei einem britischen Luftangriff zerstört wurde.

Besondere Aufmerksamkeit verdient das Esszimmer des Hauses eines Kunstfreundes. Im Gegensatz zum opulenten Empfangsraum und Musikzimmer ist es dunkler, ruhiger und strenger gestaltet. Dunkle, getäfelte Wände und Möbel werden durch eine weisse Gewölbedecke, fünfzehn Gipsplatten und einen hellen Teppich ausbalanciert. Die Wände und Schränke sind mit schablonierten Paneelen versehen – ein zentrales Gestaltungsmittel Mackintoshs, das geometrische Strenge mit ornamentaler Feinheit verbindet.

Das Speisezimmer im 'Haus eines Kunstfreunds'

Diese Schablonenmotive finden sich nicht nur in den Wänden und Einbaumöbeln, sondern auch in den Stühlen selbst wieder. Am Tisch sind lediglich zwei hohe Armlehnstühle dargestellt – die später als Art Lovers Carver Chairs bekannt wurden –, deren schlanke, sich verjüngende Rückenlehnen von Kopf bis Fuss durchlaufen. Diese Stühle, ebenso wie andere Möbel dieses Hauses, blieben viele Jahrzehnte reine Entwürfe auf Papier.

Erst über 80 Jahre später begann sich Mackintoshs Traum zu materialisieren. 1989 entstand in Glasgow die Initiative, das House for an Art Lover nach den originalen Entwürfen zu bauen. Die Umsetzung war komplex und langwierig. 1995 wurde Bruce Hamilton Furniture Makers mit der Herstellung der Möbel für das Esszimmer beauftragt.

Mit nur wenigen überlieferten Informationen aus dem Mackintosh-Portfolio und in enger Abstimmung mit Mackintosh-Forschern fertigte Bruce Hamilton massstäbliche Werkstattzeichnungen der Esszimmergarnitur an – seine Interpretation von Mackintoshs Aquarellen.

Die ersten Möbelstücke wurden als originale Mackintosh-Möbel gefertigt, wenngleich sie 67 Jahre nach seinem Tod entstanden. Bis heute arbeitet Bruce Hamilton mit denselben Schablonen und Vorrichtungen.

Argyle Chair & Art Lovers Carver Arm Chair von Bruce Hamilton
Argyle Chair & Art Lovers Carver Arm Chair von Bruce Hamilton

Die dekorative Schablonenarbeit an den Stuhlrücken wird dabei von Elisabeth Viguie Culshaw vom Lansdowne House of Stencils ausgeführt, die diese anspruchsvolle Technik mit grosser Sensibilität weiterführt.

Wie die Entstehungsgeschichte zeigt, nimmt der Art Lovers Carver Arm Chair eine aussergewöhnliche Stellung ein: Da Charles Rennie Mackintosh diesen Stuhl selbst nie gebaut hat, wird er durch diese Ausführung tatsächlich zu einem Original – nicht als historisches Objekt aus der Zeit um 1900, sondern als späte, präzise und respektvolle Realisierung einer Idee, die ihrer Zeit weit voraus war.

Elisabeth Viguie Culshaw of Landsdowne House of Stencils

Der Art Lovers Carver Arm Chair steht damit exemplarisch für Mackintoshs Wirkung auf die Wiener Secession, für seinen Einfluss auf die europäische Moderne und für die Kraft von Entwürfen, die Jahrzehnte überdauern können.

Er erzählt von Visionen, von kulturellem Austausch, von Handwerk auf höchstem Niveau – und davon, dass manche Ideen einfach auf ihre Zeit warten müssen.

Quellen:

  • Billcliffe, Roger. Mackintosh Furniture. First edition. New York: E. P. Dutton, 1985. 

  • Cosgrove, James, ed. House for an Art Lover: Charles Rennie Mackintosh. Glasgow: House For An Art Lover, 2004.
  • Blake, Fanny. Essential Charles Rennie Mackintosh. Bath: Parragon, 2004.

Mein Dank geht an Bruce Hamilton für die Werkstattbilder und die Mackintosh-Zeichnungen sowie an Elisabeth Viguie Culshaw für die Fotos der Schablonenarbeit.

Interessante Links zum Thema:

 

English Version:

The Art Lovers Carver Arm Chair – Mackintosh’s Design Brought to Life

When Charles Rennie Mackintosh came into contact with the Vienna Secession around 1900, one of the most fertile and consequential cultural connections within the European Art Nouveau movement began to take shape.

Encounters with figures such as Josef Hoffmann, Koloman Moser, and the patron Fritz Waerndorfer led to an intensive exchange that shaped Mackintosh’s work as much as it did that of the Viennese designers and their students. The broad gesso panels designed by Mackintosh and Margaret MacDonald, which were presented at the Eighth Secession Exhibition, also influenced Gustav Klimt’s work and found their echo in the Beethoven Frieze of the Fourteenth Secession Exhibition.

In the summer of 1900, Mackintosh sent, among other materials, photographs of his own apartment to the painter Carl Moll, President of the Vienna Secession. These were published in 1901, together with views of Mackintosh’s Secession Room, in the Secessionist journal Ver Sacrum, where they made a lasting impression. The precise command of spatial composition, the reduction of furniture, and the consistent integration of architecture, furnishings, and ornamentation were new to many Viennese designers. Mackintosh’s works were regarded as exceptionally modern and acted as a catalyst: numerous Viennese designers and students would take up his designs in the following years, adapting, varying, and further developing them.

It was within this very context that Mackintosh also learned, during his visit to Vienna (October to December 1900), of a competition announced in December 1900 in the German journal Innendekoration. Edited by Alexander Koch in Darmstadt, the competition sought designs for a “House for an Art Lover.” The submission deadline was 25 March 1901.

Mackintosh submitted his design for the House for an Art Lover but was initially disqualified because he had not provided the required number of interior perspectives. Nevertheless, the quality of his drawings, combined with the modernity of his vision, earned him a special prize of 600 marks—a remarkable distinction, particularly as no first prize was awarded.

Alexander Koch published selected competition entries as independent portfolios. In 1902, he also published Mackintosh’s designs—including the completed interior perspectives—under the title Meister der Innenkunst (Masters of Interior Design). Through Koch’s journals, these works reached an audience throughout Europe as well as in the United States.

In this way, Mackintosh’s visionary concept of space and furniture became known to an international audience, even though the house itself was never realized.

The original drawings are believed to have been lost in 1944, when Alexander Koch’s publishing house was destroyed during a British air raid.

Particular attention should be given to the dining room of the House for an Art Lover. In contrast to the opulent reception room and music room, it is conceived as darker, calmer, and more restrained. Dark, panelled walls and furniture are balanced by a white vaulted ceiling, fifteen plaster panels, and a light-coloured carpet. The walls and cabinets are fitted with stencilled panels—one of Mackintosh’s central design devices, combining geometric rigor with ornamental delicacy.

These stencil motifs appear not only on the walls and built-in furniture but also on the chairs themselves. At the table, only two high-backed armchairs are depicted—later known as the Art Lovers Carver Chairs—whose slender, tapering backrests run uninterrupted from top to bottom. These chairs, like many other pieces of furniture designed for this house, remained purely conceptual works on paper for many decades.

Only more than eighty years later did Mackintosh’s vision begin to materialize. In 1989, an initiative was launched in Glasgow to build the House for an Art Lover according to the original designs. The realization was complex and protracted, and in 1995 Bruce Hamilton Furniture Makers were commissioned to produce the dining room furniture.

Working with only limited surviving information from the Mackintosh portfolio and in close consultation with Mackintosh scholars, Bruce Hamilton produced full-scale workshop drawings for the dining room suite—his interpretation of Mackintosh’s watercolours.

The first pieces of furniture were made as original Mackintosh furniture, even though they were produced sixty-seven years after his death. To this day, Bruce Hamilton continues to work using the same templates and jigs.

The decorative stencil work on the chair backs is carried out by Elisabeth Viguie Culshaw of the Lansdowne House of Stencils, who continues this demanding technique with great sensitivity.

As the history of its creation demonstrates, the Art Lovers Carver Arm Chair occupies an exceptional position. Since Charles Rennie Mackintosh never built this chair himself, it becomes—through this execution—an original in its own right: not a historical object from around 1900, but a late, precise, and respectful realization of an idea that was far ahead of its time.

The Art Lovers Carver Arm Chair thus stands as an exemplar of Mackintosh’s impact on the Vienna Secession, his influence on European Modernism, and the enduring power of designs that can transcend decades.

It tells a story of vision, of cultural exchange, of craftsmanship at the highest level—and of the fact that some ideas simply need to wait for their time.

Sources:

  • Billcliffe, Roger. Mackintosh Furniture. First edition. New York: E. P. Dutton, 1985. 

  • Cosgrove, James, ed. House for an Art Lover: Charles Rennie Mackintosh. Glasgow: House For An Art Lover, 2004.
  • Blake, Fanny. Essential Charles Rennie Mackintosh. Bath: Parragon, 2004.

Acknowledgements:

My thanks go to Bruce Hamilton for the workshop photographs and the Mackintosh drawings, and to Elisabeth Viguie Culshaw for the photographs of the stencil work.

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